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Interview mit Alison Gopnik: Entwicklungspsychologin: die Zeit 9/2012

Gopnik: ... Wir wissen heute, dass ein wenig Unordnung oft zu besseren Lernergebnissen führt als planvolles Vorgehen. Wildes Herumprobieren bewährt sich umso besser, je weniger man über ein Problem weiß. Kinder und Wissenschaftler werden dadurch schneller klug als mit durchdachten Experimenten. Darum ähnelt der Verstand in den ersten Jahren einer Laterne – er beleuchtet alles, was ihm begegnet. Sein einziges Ziel ist es, möglichst viel über die Welt herauszufinden. Später dagegen, wenn wir Ergebnisse bringen müssen, ist die Aufmerksamkeit wie ein Scheinwerfer gebündelt.

ZEITmagazin: Mich erinnert die kindliche Denkweise an Leonardo da Vinci, der sich von Malerei über Wasserbau bis hin zur Konstruktion von Flugmaschinen stets mit einem Dutzend vertrackter Probleme gleichzeitig befasste – allerdings die wenigsten seiner Erkenntnisse praktisch umsetzen konnte. Steckt in jedem Kind ein Leonardo?

Gopnik: Unbedingt. Wir hören heute andauernd, wie wichtig es sei, Kinder Konzentration zu lehren. Allerdings geht Impulskontrolle auf Kosten der Kreativität. Wir wissen das aus Untersuchungen an Jazzmusikern. Beim Improvisieren funktionieren deren Gehirne ganz anders als beim Spielen vom Blatt: Die Zentren, die die Aufmerksamkeit fokussieren, sind heruntergeregelt. Menschen konnten nur deswegen so viel entdecken, weil ihr Verstand in der Kindheit diese lange unkontrollierte Phase durchläuft.

ZEITmagazin: Wann verlieren wir den weiten Blick auf die Welt?

Gopnik: Das beginnt mit etwa fünf Jahren. Nicht zufällig ist das meist die Zeit der Einschulung.

ZEITmagazin: Im Klassenzimmer werden die Kinder auf zielgerichtetes Denken trainiert. Über Leonardo sagt man oft, er sei ein Genie gewesen, obwohl er kaum vier Jahre lang die Schule besuchte und nicht einmal das Bruchrechnen lernte. Aber möglicherweise war genau das sein Glück – er konnte sich sein kindliches Denken erhalten!

Gopnik: Ich habe ein paarmal in Forschungszentren vor hochrangigen Physikern geredet. Ich erklärte ihnen, dass Wissenschaftler große Kinder sind.

ZEITmagazin: Wie fanden die Physiker das?

Gopnik: Sie stimmten zu. Aber natürlich kann nicht jeder ein Peter Pan sein. Wir brauchen auch Menschen, die zielorientiert denken.

ZEITmagazin: Allerdings gibt unsere Kultur den Ergebnissen Vorrang. Mir scheint, dass mehr wildes kindliches Denken wohltuend und sogar nützlich sein könnte. Nicht um die Zielstrebigkeit zu ersetzen, sondern um sie zu ergänzen.

Gopnik: Nur müssen sich die meisten Erwachsenen sehr anstrengen, das Laternenbewusstsein zu erreichen. Bestimmte Formen der Meditation können es fördern. Reisen, auf denen wir ziellos Entdeckungen machen, auch Sabbatjahre. Kinder dagegen befinden sich ganz natürlich in diesem Zustand.

Interview mit Gerhard Polt: OVB 5. Mai 2012

... Sie singen das Hohelied auf Bootsverleiher, die Hüter der Muße.

„Das Wort Muße ist schon sehr wichtig. Das ist meine Vorstellung von Menschenwürde: dass ein Mensch nicht unter Bedingungen leben muss, bei denen er gedemütigt wird oder ständig irgendwelche Damoklesschwerter über sich hat, sondern dass er auch seinen eigenen Gedanken nachgehen kann – ganz egal, was das Ergebnis ist. Man sagt ja heute so schöne Wörter – i schreib`ma´s alle auf – wie „evaluieren“ und „ergebnisorientiert“ und woaß da Deifi! Das sind Begriffe aus einer bestimmten Gesellschaft, die bestimmte Werte propagiert und hochhält. Ich denke mir halt: Der Begriff „Muße“ ist da ein Dagegenhalten.

Für den Arbeitslosen ist das vielleicht ein Luxusargument.

Ja, darüber könnte man stundenlang reden. Aber nur weil einer keine Arbeit hat, muss er nicht unproduktiv sein. Der eine ist nützlich und daher wertvoll – der andere nur noch ein Kostgänger? Diese Welt würde ich nicht akzeptieren wollen! Nehmen wir beispielsweise die Millionen Omas, die nur durch Geschichtenerzählen, durch Orientierungshilfen oder nur durch ihre reines Da-Sein, Vorhandensein einer Familie Halt gegeben haben… Es gibt tausenderlei Dinge, die ich nicht im ökonomischen Sinne evaluieren kann, aber im geistig-seelischen – wenn man schon „evaluieren“ sagen will…

Der Dirigent Nikolaus Harnoncourt spricht vom „Denken des Herzens“

„Schauen Sie sich das Prometheus –Ballett Beethovens an: Dort wird geschildert, wie Prometheus Tonfiguren formt, ihnen Leben einhaucht und sich dann wundert, springen herum und können alles, nur das Gefühl der Liebe, ihn als Vater zu akzeptieren, fehlt ihnen. Erst durch das Zusammentreffen mit den Musen können sie ihn lieben und werden zu warmen, liebenswerten Geschöpfen. Ich glaube, dass dies das Glaubensbekenntnis Beethovens ist. Durch die Kunst wird der Mensch zum Menschen. Nimmt man ihm die Kunst weg, und alles was mit der Kunst zu tun hat, - dieses hypothetische Denken: über fünf Denkvorgänge hinweg schon ein Ziel im Auge haben-, dann ist er sehr effektiv, aber im Grunde ist nicht sehr viel besser als ein Schimpanse, der einen Stein benutzt, um eine Nuss zu knacken. Das ist auch sehr gescheit. Um den Stein zu einem Hammer, dann zu einer Kreissäge und dann noch zu einem Computer auszubauen, das ist alles noch Affenintelligenz. Die menschliche Intelligenz kommt durch den Musenkuss.“

Süddeutsche Zeitung, Freitag, 16. Januar 2009, NIKOLAS WESTERHOFF. Kreativität ist harte Arbeit

Seit mehr als einem halben Jahrhundert erforschen Psychologen die menschliche Kreativität. Kreativität ist nicht messbar. Intelligenztests gibt es viele. Mit einigen lassen sich berufliche und schulische Leistungen gut vorhersagen. Trotz aller Kritik haben sich diese Tests einigermaßen bewährt. Intelligenz, so scheint es, ist messbar; Kreativität dagegen nicht. ... In einem seiner Experimente mussten sich Probanden originelle Überschriften für Cartoons ausdenken. Waren sie positiv gestimmt, so gelang ihnen das besser als mit schlechter Laune. Doch die einfache Lösung, dass gute Laune kreativ macht, ist nach Försters Ansicht auch falsch. „Geht es darum, eine gute Lösung für ein analytisches Problem zu finden, etwa für eine mathematische Gleichung, dann ist eine, positive Stimmung keineswegs hilfreich", sagt Förster. Je analytischer ein Problem ist, desto wichtiger ist es, den Fokus der Aufmerksamkeit eng zu halten und

sich ganz auf die Sache zu konzentrieren. „Negative Stimmung begünstigt diese kognitive Engführung." Wer jedoch ein Bild malen will oder einen Song komponieren, der sollte seine Gedanken schweifen lassen. Und das gelingt bei guter Laune nun mal besser.

Kreative können nicht erklären, wie sie zu ihren Einfällen kommen

... Die psychologische Forschung hat sich lange Zeit darauf konzentriert, die Persönlichkeit von Kreativen zu erforschen. „Dabei ist nicht so viel herausgekommen, wie man sich gewünscht hätte", sagt Förster. Seine Studien legen den Schluss nahe, dass es bei kreativen Leistungen weniger auf die Person ankommt als auf die Situation, in der jemand malt, schreibt oder philosophiert. „Manche

Umgebungen stimulieren, andere nicht", sagt Förster.

... Kreative Köpfe sind echte Malocher, die beharrlich an ihrem Projekt festhalten; die über Jahre eine Vision verfolgen; die nicht aufgeben,

obwohl andere sie belächeln oder verspotten. Ihr Geistesblitz ist das Ergebnis harter Arbeit.

Aus der Zeitschrift des Bayrischen Philologenverbandes 2/2001: Der Bildungsauftrag des Schulfaches Kunsterziehung in Bayern

In der Kunsterziehung geht es grundsätzlich um die Auseinander­setzung mit ästhetischen Phäno­menen. Dabei hat das Fach vielfäl­tige Aufgaben, die der Persönlich­keitsentwicklung und dem Dialog mit der Umwelt dienen. Kunster­ziehung schafft dabei Grundlagen zur Entfaltung differenzierten Wahmehmens und Erkennens so­wie Zum Entdecken und Entwi­ckeln subjektiven Ausdrucks. Das visuelle Lernen und Erleben wird in Verbindung mit allen Sinnen ent­wickelt und verfeinert. Dazu ge­hört, dass Fantasien und Wahr­nehmungen in bildnerische Mittei­lungen umgesetzt werden können. Der vorn Fach angestrebte Erwerb von Bildkompetenz wirkt fächer­übergreifend und trägt zum Ver­ständnis ‑unterschiedlicher Bild­welten bei. Darüber hinaus fördert die Umsetzung sinnlicher Eindrü­cke in sprachlichen Ausdruck die gemeinsame Verständigung über ästhetische Bereiche. Viele Forde­rungen, die heute mit Leistung in Zusammenhang gebracht werden, gehörten schon immer zum Reper­toire des in Kunsterziehung geüb­ten bildnerischen Tuns.

 

Kunsterziehung fördert die intellektuelle und psychische Entwicklung durch

  • Einbeziehung kreativer Lösungsmöglichkeiten unterschiedlicher Problemstellunge
  • Verfeinerung der Psychomotorik und der sozialen Sensibilität
  • Erhöhung von Genauigkeit und Sensibilität der Wahrnehmung
  • Stimulierung sensorischer Erfah­rung und kognitiver Fähigkeiten

Kunsterziehung vermittelt bildneri­sche Fähigkeiten, Fertigkeiten und Kenntnisse in Praxis und Theorie durch

  • Kennenlernen handwerklicher, bildnerischer und werktech­nischer Methoden
  • Einsichten in Zusammenhänge von Gestaltung, Komposition und deren Wirkungen
  • Entwicklung und Förderung der bildlichen und räumlichen Vor­stellungs‑ und Ausdrucksfähigkeit
  • Umsetzung und Bewältigung realer und imaginativer Situatio­nen in Fläche und Raum

Kunsterziehung fördert die Medienkompetenz durch

  • kritische Betrachtung der Mediensituation und Umgang mit modernen Bildmedien
  • Einsicht in Mechanismen der Beeinflussung durch Medien
  • Handhabung moderner Informa­tions‑ und Darstellungsmetdien (Internet, PC, Video, DTP, EBV)
  • Erkennen gestalterischer Ge­setzmäßigkeiten in Layout und Dramaturgie

Kunsterziehung bereitet zur Teilhabe am kulturellen Leben vor durch

  • Kenntnis von zeit‑, geistes‑ und kunstgeschichtlichen Zusam­menhängen verschiedener Kulturen,
  • Auseinandersetzung mit dem Lebenswerk von Künstlern
  • Begegnung mit der Kunst der Gegenwart
  • Konzeption und Anfertigung von Informationsmaterial und Aus­stellungen, Film‑ und Video‑ dokumentationen

Kunsterziehung fördert Eigen­ständigkeit und Selbstorganisation durch

  • Erprobung selbsterworbenen Wissens
  • Offenes Experimentieren ohne Angst vor Fehlern
  • Förderung von Disziplin und Ausdauer im Verfolgen von Zielen
  • Konzeption, Realisation und Präsentation eigenständiger vi­sueller Gestaltungen

Kunsterziehung fördert Kommuni­kationsfähigkeit durch

  • Analysieren und Interpretieren visueller Sachverhalte
  • Verbalisieren sinnlicher Eindrücke

Kunsterziehung bietet vielfältige Unterrichtsformen wie

  • Einzelarbeit, Gruppenarbeit, Projektarbeit, Rollenspiele, The­ater, Aktionen, Exkursionen
  • Einzel‑ und Gruppenberatung während der Arbeitsprozesse

Kunsterziehung unterstützt die Er­scheinung der Schule nach außen bei der

  • Konzeption und Durchführung von Ausstellungen
  • Konzeption identitätsstiftender Erscheinungsbilder in Veröffentlichungen und Berichten.

1999; Professor Hans Daucher: 2000 Bilder – 2000 Botschaften. 30 Jahre Denken in Bildern, Zum Auftrag des größten Jugendwettbewerbs der Welt

… Bilder gehören zu den ältesten Zeugnissen der Menschheitsgeschichte, Jahrzehntausende älter als die ersten Spuren menschlicher Sprachen…Zweifellos steht an der Spitze der geistigen Evolution des Menschen die Sprache, die mit ihrer Prägnanz und ihrem Reichtum unsere Welt beschreibbar macht und zu den Höhen menschlicher Denkfähigkeit führt. Bildungseinrichtungen wenden sich heute ganz der verbalen Erziehung und dem Denken in Zahlen zu. Sie schufen so die Grundlage für moderne Wissenschaft und Technik.

 „Bildung“ hast in dieser Entwicklung immer weniger noch etwas mit Bild zu tun. In unserem Medienzeitalter gewann plötzlich das Medium Bild als Informationsträger wieder eine neue, vehemente Zuwendung. Seine Faszination hatte es für das „Augentier Mensch“ nie verloren. Besonders nicht bei den Kindern. Aber in der Schule verschwand Anschaulichkeit immer mehr aus den Erziehungskonzepten. So wurde in den letzten dreißig Jahren die bildnerische Erziehung um die Hälfte an Unterrichtsstunden gekürzt. …“

Der Nobelpreisträger 1981 und Hirnforscher Roger Sperry

Er zeigte, dass wir sowohl über begrifflich-abstraktes Denken, das uns durch die präzise verbale Etikettierung von Erlebniseinheiten zu analytischem, linearem und kausalem Denken befähigt als auch über die Fähigkeit in Bildern, in umfassenden, hochkomplexen Zusammenhängen zu denken, verfügen.  „Die rechte Gehirnhälfte, die für Kreativität, Gefühle, bildhaftes und ganzheitliches Denken zuständig ist, wird in unserem Bildungssystem dramatisch vernachlässigt.“