Servus Neutronenquelle!

Jahrzehntelang besaß das LTG eine "Neutronenquelle" - jetzt wurde sie entsorgt.

 

Aus den an der Schule vorhandenen Unterlagen war nicht mehr zu rekonstruieren, wann das LTG die Neutronenquelle angeschafft hatte. Es muss Anfang der 70er Jahre gewesen sein, als auch der Trakt 4 mit seinen naturwissenschaftlichen Fachräumen gebaut wurde. In dieser Zeit erschien die Atomkraft als sichere Energiequelle der Zukunft. Tschernobyl und Fukushima waren damals unbekannte Namen ferner Kleinstädte.

Unsere "Neutronenquelle" besteht aus 3 Milligramm des Alphastrahlers Radium 226 und dem zu bestrahlenden Material Beryllium. Bei der folgenden Kernreaktion entstehen freie Neutronen, die wiederum für weitere Versuche genutzt werden können. Der Strahler ist durch eine dicke Hülle aus Paraffin abgeschirmt, daher nimmt die Neutronenquelle den Raum von etwa einer großen Regentonne ein.

Am LTG wurden zuletzt in Physik-Leistungskursen um die Jahrtausendwende Versuche mit der Neutronenquelle gemacht. Mit dem Wegfall der Leistungskurse und der Einführung des G8 stellte sich im Laufe der Folgejahre heraus, dass wir keine Versuche mehr mit der Neutronenquelle durchführen werden - alle notwendigen Versuche der Kernphysik können mit den vorhandenen schwächeren Strahlern durchgeführt werden.

Die Neutronenquelle wurde immer gesichert in einem Nebenraum gelagert, eine gesundheitliche Gefahr ging von ihr aufgrund der äußerlich nur sehr schwachen Strahlung zu keinem Zeitpunkt aus. Es gibt in Bayern noch weitere Schulen und Universitäten, in denen Neutronenquellen zu Bildungszwecken auf ihre Entsorgung warten.

Im Jahr 2013 wurde die Entsorgung der Neutronenquelle beantragt, die Entsorgung wurde dann "nur" fünf Jahre später im Jahr 2018 genehmigt. Der Entsorgungsprozess nahm dann viele weitere Monate in Anspruch, bis er am 24. Juli 2019 durch die Abholung abgeschlossen wurde.

Hervorzuheben sind die extrem hohen Entsorgungskosten im mittleren fünfstelligen Bereich. Diese enthalten alle Kosten der prognostizierten Endlagerung im "Schacht Konrad" des radioaktiven Materials. Die Finanzierung wurde vom Sachaufwandsträger (also vom Staat) übernommen, der nicht nur für die Anschaffung, sondern auch die Entsorgung von Materialien zuständig ist.

Jeder der folgenden Punkte (bis auf den letzten) beanspruchte mehrere Wochen oder gar Monate.
1. Einholung eines Angebots der zuständigen Entsorgungsfirma
2. Durchführung einer außerregulären Dichtigkeitsprüfung, um einen sicheren Transport zu gewährleisten
3. Sendung aller Unterlagen an die Entsorgungsfirma
4. Abstimmung mit dem Sachaufwandsträger zur Sicherung der Finanzierung
5. Endgültiger Auftrag der Entsorgung an die Entsorgungsfirma
6. Akquisition der Entsorgung, dabei Organisation eines passenden Gabelstaplers für die lokale Verladung
7. Entsorgung

Die Verladung der Neutronenquelle fand am Charivari-Parkplatz hinter der Schule statt. An der Schulpforte wurde sie den beiden Mitarbeitern der Entsorgungsfirma übergeben. Zuvor wurde ein speziell für diesen Vorgang hergestellter Endlagerungsbehälter angeliefert und aus einem Transporter mit einem Gabelstapler ausgeladen. Die Deckplatte wurde abgehoben.
Bevor die Neutronenquelle in den Behälter hineingehoben wird, wird die radioaktive Strahlung an ihrer Außenseite gemessen und protokolliert. Nach dem Hineinheben wird die Tonne abgespannt und der Behälter verschlossern. Danach erfolgt eine weitere Messung der radioaktiven Strahlung von außen. Abhängig von den Strahlungswerten erhält der Behälter eine spezielle Kennzeichnung und dazu eine Inventarnummer.
Nach dem Verladen in den Transporter wird die radioaktive Strahlung außerhalb des Transporters vermessen. Abhängig davon erhält er eine spezielle Kennzeichung als Gefahrguttransporter mit einem Warnschild "radioaktiv". Der Fahrer ist speziell ausgebildet für solche Transporte.
Die Neutronenquelle wird in das Zwischenlager Mitterteich in Nordbayern gebracht. Dort steht sie so lange, bis ein Endlager (vorgesehen ist der "Schacht Konrad") zur Verfügung steht, was in den nächsten Jahren allerdings nicht in Sicht ist. Im Endlager würde der Behälter tief in der Erde in einem Schacht einer Eisenerzmiene mit anderen ähnlichen Behältern gelagert und vollständig einbetoniert.

Beteiligt waren an der Entsorgung folgende Personen:
- Strahlenschutzbeauftragter des Gymnasiums
- Hausmeister des Gymnasiums
- Gabelstaplerfahrer einer nahen Firma
- zwei Mitarbeiter der Entsorgungsfirma
- Fahrer des Gefahrguttransports

Drei Milligramm Radium entsprechen in der Größe etwa einem Sandkorn.
Die Entsorgung dieses radioaktiven Radiums kostete etwa einen Mittelklassewagen.
Die Halbwertszeit von Radium beträgt 1600 Jahre.

Die deutsche Gesetzgebung fordert allgemein eine sichere Lagerung über 1 Million Jahre.
Die Halbwertszeit von Plutonium beträgt 24000 Jahre.
In Europa warten zurzeit 8000 Kubikmeter hochradioaktiver Abfall in Zwischenlagern auf eine Endlagerung, jährlich kommen 280 Kubikmeter dazu. (Quelle: Wikipedia "Radioaktiver Abfall")

Der Behälter mit unserer Neutronenquelle wird nie mehr geöffnet werden.

(sei)